Stadt, Land und danke für das Boot by René Freund
Autor:René Freund [Freund, René]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien
veröffentlicht: 2015-07-29T16:00:00+00:00
Diät-Fehler
Viel kann man im Frühling zum Thema Diäten lesen. Das liegt einerseits an der brennenden Notwendigkeit von aktuellen Artikeln zur Fastenzeit, wenngleich die religiösen Aspekte eher unter den mit Kiwis und Dörrpflaumen gedeckten Tisch fallen. Doch die unerbittlich heranrückende Badehosen- und Bikinisaison zwingt zur alljährlich gut wiedergekäuten Frage: »Wie verliere ich überschüssige Kilos?«
Keiner der schreibenden Kollegen beschäftigt sich allerdings mit den ganz normalen, alltäglichen Auswirkungen ihrer Artikelflut. D. zum Beispiel trinkt keinen Alkohol mehr. Der sonst überaus fröhliche Zeitgenosse mit seinem gemütlichen Bäuchlein ist zu einem tristen Klon seiner selbst geworden. Grantig und stumm sitzt er bei Tisch, und wenn uns anderen das Trinken erst so richtig Spaß zu machen beginnt, zahlt er seine drei Mineralwasser und geht heim, wo er sich dann schlaflos in seinem Bett wälzt. M. trinkt zwar noch das eine oder andere Achtel, dafür hat sie das Abendessen rigoros gestrichen. Ohnehin schon dünn, sitzt sie dann mit eingefallenen Wangen und glühenden Augen da und sieht uns beim Essen zu, alle Angebote des Kostens mit schwacher, aber dennoch heroischer Stimme ablehnend. J. hat ein sündhaft teures Bauchtrainingsgerät erworben, dessen Gebrauch ihr nicht nur Rückenschmerzen, sondern auch psychologische Krämpfe bereitet, weil sie sich so schämt, mittels Trainingsvideo Pseudosport mit ausgemergelten Amerikanerinnen zu betreiben. T. wiederum hat letztens erzählt, dass er sich beim Frühstück die gewohnheitsmäßig üppig aufgetragene Butter vom Brot gekratzt hat, um seinen »BMI-Wert« (Körpergewicht hoch drei minus Lebensalter mal Schuhgröße mal Pi oder so ähnlich) zu verbessern. G. dagegen hat das Frühstück völlig gestrichen, obwohl er natürlich wie jedermann weiß, dass man gerade das Frühstück nicht streichen soll. Er hat sich jedoch stattdessen einen »Hometrainer« gekauft, ein immobiles Fahrrad und Sinnbild für den Niedergang des Menschengeschlechts, und nun ist er allmorgendlich damit beschäftigt, sein eingebildetes Übergewicht abzustrampeln. Er ist dabei an einen Pulsmesser angeschlossen, der ihm die optimalen Iso-Werte (»du weißt schon«) vermittelt. Nur einmal hat G. bis jetzt den aeroben Pulswert überschritten, nämlich als sein Handy läutete, er sich danach bücken musste, wodurch ihm die Fernbedienung hinunterfiel, woraufhin das Wetterpanorama vom Fernsehschirm verschwand und der Pulsmesser durch den physischen und psychischen Stress wie eine Alarmanlage zu kreischen begann.
Ja, an diese kleinen, aber nicht zu unterschätzenden Leiden der Pressekonsumenten haben die Kolleginnen und Kollegen nicht gedacht. Freilich, aufgeklärt geben sich heute alle: Nulldiäten zum Beispiel seien gar nicht gut. Die »Hollywood-Diät« führe zu einseitiger Ernährung. Allgemein betrachtet sei es ja absurd, dass wir Probleme mit dem Übergewicht haben, während doch ein ganzer Teil der Weltbevölkerung … und außerdem müsse man ja nicht den Modelfiguren nacheifern, die wir auf nebenstehendem Foto beneiden können. Die Gene allerdings, die Gene könne man nicht überlisten, denn das Programm der Natur laute nicht »survival of the fittest«, sondern in Wahrheit »survival of the fattest«. Bei näherer Betrachtung seien deshalb alle Diäten nicht nur sinnlos, sondern auch schädlich, weil man immer mehr zunimmt, als man vorher abgenommen hatte. Und überhaupt führten die Hungerkuren zu schweren Essstörungen wie Magersucht oder Bulimie. Die einzige vernünftige Methode, so das Fazit aller Artikel, sei, ein bisschen mehr Bewegung zu machen und ein bisschen weniger zu essen.
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